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EIN PAAR GEDANKEN ZUR DIGITALISIERUNG

  • Patrick Sigrist
  • 28. Sept. 2023
  • 5 Min. Lesezeit

Sie ist seit längerem in aller Munde, hat auch kein bisschen von Ihrer Relevanz eingebüsst – und doch – in den Medien war Sie schon stärker präsent und diskutiert: Die Digitalisierung.

 

Nahezu alle Branchen sind von Ihr betroffen – auch die unsrige. Vielfach werden sich in naher Zukunft «Berufsbilder» und «Arbeitsweisen» stark verändern, auch die Art der Kommunikation sowie des Vertriebs. Neben Risiken eröffnen sich auch interessante Chancen und Möglichkeiten.

 

Wir als Treuhänder begegnen der Digitalisierung mehrdimensional – sowohl kundenseitig als «Täter», in dem versucht wird, die Ablauforganisation im Bereich Rechnungswesen beim Kunden zu verbessern, d.h. zu automatisieren. Intern aber auch als «Opfer», in dem die veränderten Rahmenbedingungen unsere Prozesse über den Haufen werfen und uns vor neue vielfältige Herausforderungen stellen (z.B. Anforderungen an neue MitarbeiterInnen).

 

Im vorliegenden Blog möchten wir basierend auf unserer Erfahrung als «Täter» wie auch «Opfer» auf verschiedene nicht offensichtlich relevante Aspekte der Digitalisierung eingehen.

 

Digitalisierung ungleich Automatisierung & Effizienz!

Der erste Punkt fällt unter die Kategorie «Das Kind beim Namen nennen». Gemäss Wikipedia definiert sich die Digitalisierung wie folgt: «Unter Digitalisierung (von lateinisch digitus ‹Finger› und englisch digit ‹Ziffer›) versteht man die Umwandlung von analogen, d.h. stufenlos darstellbaren Werten bzw. das Erfassen von Informationen über physische Objekte in Formate, welche sich zu einer Verarbeitung oder Speicherung in digitaltechnischen Systemen eignen.» Oder einfacher formuliert: Physische d.h. analoge Informationen in elektronische Form bringen – Punkt, Strich, Schluss aus.

 

Was aber häufig passiert: Digitalisierung wird vielfach (vor allem in den Medien) mit Automatisierung & Effizienz gleichgesetzt – was definitiv nicht der Fall ist.

 

Man kann eine Unternehmung oder einzelne Arbeitsprozesse digitalisieren ohne jegliche Automatisierung oder Effizienzgewinn.

  

Das Ziel der Übung muss klar definiert sein

Die Digitalisierung bietet sowohl Chancen als auch Risiken. In der Praxis beobachten wir vielfach, dass Digitalisierungsprojekte angestossen werden ohne klare Zieldefinition. Dies daher, weil dem «Projektanstoss» vielfach keine saubere Analyse zu Grunde liegt. Konsequenz: Ausser Spesen nichts gewesen – vielfach noch zusätzlich frustrierte und verunsicherte MitarbeiterInnen.

 

Unsere Empfehlung: Bevor  Sie ein entsprechendes Digitalisierungsprojekt starten, machen Sie  eine saubere Analyse und definieren Sie das Ziel. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht rechtfertigen sich in unseren Augen nur Projekte, welche die folgenden Ziele erfüllen:

  • Es findet ein klar quantifizierbarer Effizienzgewinn statt, welcher die im Rahmen des Projekts angefallenen Kosten innerhalb der nächsten 5 Jahre «amortisiert»

  • Vertriebsseitig werden neue Kanäle erschlossen, welche die Gewinnung von neuen KundInnen/Kundengruppen ermöglicht und zu Mehrumsatz führt, dessen Deckungsbeitrag die angefallenen Kosten des Digitalisierungsprojekts «amortisiert». Oder es wird dem neuen Konsumverhalten der bisherigen Kunden- & Zielgruppe Rechnung getragen und diese wieder angesprochen.

  

Zeitnaher Standard im elektronischen Datenaustausch? Eine Utopie

Wir glauben, dass in der langfristigen Zukunft im Geschäftsverkehr irgendwo eine Primärdatenerfassung erfolgt, welche jeweils nachgelagerte automatisierte Prozesse initialisiert. Konsequenz: Das sekundäre Erfassen gleichartiger Daten verschwindet – und mit ihm altbekannte Prozesse im Bereich Rechnungswesen, d.h. die Buchführung wird zu grossen Teilen automatisiert sein.

 

Bis es so weit ist, fliesst noch sehr viel Wasser die Aare herunter. Warum? Es fehlt ein einheitlicher Standard für den elektronischen Austausch von Daten. Zusätzlich sind die meisten in der Schweiz verwendeten «ERP-Softwarelösungen» in sich selbst geschlossenen «Ökosysteme» – ein standardisierter Austausch mit anderen Lösungen ist nicht vorgesehen und ein individuell programmierter Austausch lässt sich oft nur mit bedeutenden Kostenfolgen einrichten.

 

Der aktuell mehrheitlich verwendete «Standard» für den elektronischen Datenaustausch ist der Versand von PDF-Rechnungen per E-Mail oder über FileShare-Plattformen – dieser lässt nur bedingt weitergehende Automatisierungen zu, welcher zu massiven Effizienzgewinnen führen. Wir sind gespannt, wie lange es dauert, bis hier ein «Gamechanger» erfolgt.

  

Internes Kontroll-System (IKS) hält auch in der KMU-Landschaft Einzug

Das im vorstehenden Kapitel beschriebene Zukunftsszenario führt dazu, dass viele Geschäftsprozesse in der Zukunft einmalig sauber aufgesetzt werden müssen (vor allem IT-seitig) und anschliessend grösstenteils automatisiert «durchlaufen». Alles schön, Alles gut so weit.

 

Wir haben ihn schon oft gehört, den Satz: «das muss stimmen, das System macht das alles automatisch».  Unsere Erfahrung lehrt uns, dass ein System nur so gut ist wie derjenige, der es bedient oder der es eingerichtet hat. Und fehlen ist bekanntlich menschlich…

 

In unseren Augen hat sich infolge der Digitalisierung sowie der vielfach unkritischen Haltung vieler Softwareanwender das Risiko von systematischen Fehlern erhöht – bspw. fehlerhafter Set-Up der MWST bei optierten Umsätzen. Unsere Empfehlung: Die Implementierung von periodischen Kontrollen (Check & Balances) bei automatisierten Prozessen, welche systematische Fehler frühzeitig erkennen und verhindern lassen.

  

Gesucht: Vernetzt denkende MitarbeiterInnen mit IT-Affinität (leider Mangelware)

Die Digitalisierung der Geschäftswelt hat zur Folge, dass die Komplexität in der Ablauforganisation einer jeden Unternehmung zunehmen wird. Das mögliche Zusammenspiel von verschiedenen Softwareprogrammen im Bereich Rechnungswesen erfordert von den MitarbeiterInnen neben einem soliden Fachwissen ein stark vernetztes Denken.

 

Gerade in der Treuhandbranche ist es noch gang und gäbe, dass für die Buchführung einzig eine Applikation «Finanzbuchhaltung» zum Einsatz kommt und Daten «redundant» verarbeitet werden. Der Schwierigkeitsgrad für den beauftragten Sachbearbeiter ist dabei überschaubar. Wird nun aber eine innovative Online-ERP wie AbaNinja, Bexio oder KLARA verwendet, so sieht die Rechnung nun anders aus – oder auf den Punkt gebracht: Hier muss Mann oder Frau Wissen, wie der Hase läuft – sonst droht ein nur mühsam zu behebendes Chaos.

  

Alles ist möglich, demjenigen der es glaubt (bzw. seinem Berater)

Ja, wir geben es zu: Auch wir mussten schon «Kreide fressen» wenn es darum ging, im Rahmen eines durchgeführten «Digitalisierungsprojekts» den versprochenen Effizienzgewinn herbeizuführen. Oder wir ärgerten uns selber grün und blau, weil ein derart hoher Stundenfriedhof entstanden ist … Woher kommt das? Viele Anbieter preisen Softwareprodukte an, welche noch in den Kinderschuhen stecken und maximal knapp Marktreife erlangt haben … Und Kinderkrankheiten sind mühsam – das weiss jeder Elternteil. Konklusion für uns: Wir sind den Verkaufsversprechungen von grossen Softwareanbietern gegenüber kritischer geworden. Um ehrlich zu sein – wird sind etwas enttäuscht darüber, was uns vollmundig als grosser Wurf angepriesen worden ist in Anbetracht des geringen effektiven Effizienzgewinns für unsere Kunden. Unsere Empfehlung: Einführung von Programmen zur Digitalisierung erst vornehmen, wenn diese eine gewisse Marktdurchdringung erreicht haben und eine effektive Effizienzsteigerung gegeben ist.

  

Digitalisierung? Für (Büro)Chaoten ist keine Besserung in Sicht

Verschiedene innovative Online-ERP-Programmanbieter machen Werbung wie «Mach kein Büro auf – Administration ganz einfach». Unsere Erfahrung nach zig Digitalisierungsprojekten: Digitalisierung hilft gut organisierten Unternehmen bei der Wahrnehmung von Effizienzsteigerungen bei Backoffice-Prozessen. Bei (Büro)Chaoten sieht die Rechnung komplett anders aus – hier stürzt die Digitalisierung diese sowie ihren Berater in ein noch grösseres Chaos. Mittlerweile glauben wir, dass die Digitalisierung einer Unternehmung nicht für jeden Inhaber einer KMU-Unternehmung geeignet ist. Ein gut strukturierter, altmodischer Bundesordner kann hier unter Umständen bessere Dienste leisten als jedes ERP- oder DMS-System.

  

Positive Erfahrungen

Nichtsdestotrotz haben wir mit den aktuellen Möglichkeiten und Schnittstellen mehrheitlich positive Erfahrungen gemacht Früher mussten Buchungen einzeln erfasst werden, heute gibt es dazu bereits Alternativen. Anstatt die Transaktionen auf dem Bankauszug einzeln in der Buchhaltung zu erfassen, kann der Bankverkehr in modernen Systemen direkt oder indirekt importiert werden. So können unter anderem auch Tippfehler eliminiert werden, die zu Differenzen führen. Mit dem entsprechenden Initialaufwand lässt sich auch ein beträchtlicher Teil des Verkehrs automatisiert verbuchen. Auch Schnittstellen zu externen Fakturierungssystemen können den Zeitaufwand für die Buchführung reduzieren. Eine periodische Kontrolle der automatisch verarbeiteten Buchungen ist jedoch nach wie vor unumgänglich.

 

Digitalisierung auf Biegen und Brechen ist weder nötig noch sinnvoll. Was aber immer Sinn macht, ist die bestehenden Prozesse zu hinterfragen und nach Möglichkeiten für Automatisierungen zu suchen. Am besten mit jemanden, der sowohl die Prozesse wie auch die zu verwendenden Systeme kennt und versteht.


 
 
 

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